Gruß dich Gott, du lieber Netzen Gumen. Die Nürnberger Weingrüße als Geheimritus

Vortrag, ca. 60 min.

Der Nürnberger Handwerkerdichter Hans Rosenplüt erschafft in der Mitte des 15. Jahrhunderts etwa 20 Weingrüße: Trinksprüche, die den Wein feierlich begrüßen bzw. verabschieden und die offenbar als performativer Rahmen von Trinkgelagen fungieren – soweit, so banal.

Bei genauerer Betrachtung offenbart sich jedoch eine erstaunliche Komplexität: Anspielungen auf biblische Erzählungen, Kritik an der Wirtschaftspolitik der Reichsstadt, differenzierte Einblicke in die Weinpanschkultur und vor allem der Einsatz von Wein als Aus- und Entgrenzungsmedium machen die Weingrüße zu faszinierenden literarischen Perlen.

Freilich stellt sich die Frage, wer derart komplexen Texte benötigt, um sich kollektiv zu betrinken. Viele Indizien deuten auf eine spannende Antwort hin: Die Weingrüße könnten im Nürnberg des 15. Jahrhunderts zur regelmäßigen Abhaltung eines Geheimritus gedient haben, der es den Handwerkern ermöglichte, sich in Zeiten des Zunftverbots heimlich selbst zu verwalten.


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